Iranische Künstler*innen begegnen persischen Manuskripten: Neue Ausstellung in der Universitätsbibliothek Leipzig
Pressemitteilung vom 23. April 2024
Die Universitätsbibliothek (UB) Leipzig eröffnet am 23. April 2024 mit „Exit allowed?“ Iranian Artists meet Iranian Manuscripts / Iranische Künstler*innen begegnen persischen Handschriften eine neue Ausstellung, die das Ergebnis eines einzigartigen Experiments darstellt: Was geschieht, wenn sich zwei junge Künstler*innen aus dem Iran mit persischen Handschriften der UB Leipzig auseinandersetzen? Die Ausstellung gibt dabei auch einen Einblick in sechs Jahrhunderte persischer Manuskriptkultur.
Die UB Leipzig hat die jungen iranischen Künstler*innen Mahshid Mahboubifar und Pooya Sedighi Mournani eingeladen, sich mit den in der Bibliothek vorhandenen 228 Handschriften in persischer Sprache aus einem künstlerischen Blickwinkel auseinanderzusetzen. Mahboubifar und Sedighi Mournani sind Studierende an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) und haben sich über Monate hinweg intensiv mit dieser faszinierenden Sammlung beschäftigt. Die Ausstellung in der Bibliotheca Albertina präsentiert täglich vom 24. April bis 21. Juli 2024 ihre Arbeiten sowie ausgewählte Handschriften der Sammlung.
Welche Handschriften die beiden Künstler*innen für ihre gestalterischen Interaktionen auswählen und welche Aspekte der Handschriften Reaktionen bei ihnen auslösen würden, welches Resultat schließlich die Interaktionen haben, in welchem Medium und in welcher Form sie sich äußern würden, all das war zu Anfang völlig offen und blieb über mehrere Monate hinweg im Fluss. Das Ergebnis dieses kreativen Prozesses sind fotografische Werke mit verschiedenen Techniken und eine beeindruckende Videoarbeit, die in einem Assoziationsraum zusammen mit den Manuskripten gezeigt werden, von denen die Künstler*innen inspiriert und beeinflusst wurden. Pooya Sedighi Mournani betonte mehrfach, wie bereichernd und lehrreich die Annäherung an historische Objekte war, „die die gleiche Herkunft wie ich haben“.
Dieses für die Universitätsbibliothek vollkommen neue Konzept einer Kunstausstellung fügt sich dennoch wunderbar in ihre bestehenden Anliegen ein. Dr. Anne Lipp, Direktorin der UB Leipzig, hält dazu fest: „Möglichkeiten zu eröffnen, der in den Beständen der UB Leipzig enthaltenen Kulturgeschichte digital und hautnah zu begegnen, ist ein zentrales Motiv für die Aktivitäten der Universitätsbibliothek Leipzig. Wir möchten die vielschichtigen historischen Sammlungen durch digitale Bereitstellung, wissenschaftliche Aufarbeitung und breite Vermittlung erfahrbar machen. Das aktuelle Ausstellungsexperiment ist eine neue Zugangsform, diesen Anspruch einzulösen.“
Titel der Ausstellung greift Herkunftsgeschichte der Werke auf
Zeitgleich mit der Ausstellung erscheint ein von Stefan Gunnesch (Leipzig/London) gestalteter 80-seitiger Katalog, der unter anderem einen Essay von Mahshid Mahboubifar enthält. Das Fazit der Künstlerin: „Es ist notwendig, sich mit Fragen der Rechtmäßigkeit bei der Erwerbung der Handschriften zu befassen und ebenso mit der ethischen Verantwortung, die mit der Bewahrung solcher literarischen Schätze verbunden ist“.
Die Ausstellung „Exit allowed? Iranische Künstler*innen begegnen persischen Handschriften“ nimmt mit den ausgestellten Handschriften auch die Materialität der Objekte, die kunstvoll gestalteten Buchseiten und die Werke berühmter Dichter in den Fokus. Dabei wird immer wieder die selbstkritische Frage gestellt, wie es dazu kam, dass diese Handschriften heute in Leipzig zu finden sind. Welche Wege haben sie genommen? Ein iranischer Ausfuhrgenehmigungsstempel, der auf Englisch mit „Exit allowed“ übersetzt werden kann, kehrt bei einer ganzen Gruppe von Handschriften wieder. Die Ausstellung fügt diesem Stempel ein Fragezeichen hinzu. Sie reflektiert damit auch das aktuelle Thema von Kunst aus kolonialen Kontexten in europäischen Sammlungen.
Das Ausstellungsexperiment bewegte sich von Anfang an auch in einem geopolitischen Kontext, den es nicht ignorieren kann und will. Kurator Dr. Christoph Mackert schreibt dazu in der Einleitung des Ausstellungskatalogs: „Eine Ausstellung zu einer künstlerischen Begegnung mit persischen Handschriften gerade jetzt rückt natürlich auch den heutigen Iran in den Blick. In einer deutschen Tageszeitung war Anfang 2024 zu lesen, dass der Iran in der westlich-europäischen Wahrnehmung zu bestimmten Zeiten einmal aus fanatisierten Massen besteht, die den USA und Israel die Vernichtung wünschen, und zu anderen Zeiten aus lauter Menschen voller Freiheitssehnsucht, die sich gegen religiös motivierte Unterdrückung wenden. Natürlich wird beides der komplexen Wirklichkeit des Landes nicht gerecht. So ist 'Exit allowed?' auch ein, ganz und gar punktueller, Beitrag zu einem differenzierteren Blick auf den Iran und was künstlerisch von dort ausgehen kann.“
Eröffnung und Öffnungszeiten
Die Ausstellungseröffnung findet am Dienstag, 23. April 2024, um 18 Uhr im Vortragssaal der Bibliotheca Albertina statt. Auf dem Programm stehen eine Begrüßung durch die Direktorin der Universitätsbibliothek Leipzig, Dr. Anne Lipp, und ein Podiumsgespräch zwischen Dr. Christoph Mackert, Kurator der Ausstellung, mit den beiden Künstler*innen Mahshid Mahboubifar und Pooya Sedighi Mournani, moderiert von Dr. Stefan Paul-Jacobs. Ein Rundgang und ein Empfang schließen sich an.
Die Ausstellung kann vom 24. April bis 21. Juli 2024 täglich von 10 bis 18 Uhr im Ausstellungsraum der Bibliotheca Albertina besichtigt werden. Mehr Informationen sind auf der Webseite zur Ausstellung zu finden.
Katalog
Ein 80-seitiger Ausstellungskatalog mit zahlreichen, farbigen Abbildungen, gestaltet von Stefan Gunnesch und herausgegeben von Christoph Mackert, ist beim Leipziger Universitätsverlag erschienen. Die Museumsausgabe ist vor Ort in der Bibliotheca Albertina erhältlich und kostet 20 Euro.
Über die Künstler:innen
Mahshid Mahboubifar ist eine Künstlerin und Filmemacherin aus dem Südiran, die derzeit in Berlin lebt. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf Fotografie und bewegten Bildern, insbesondere mit Interesse an Archivmaterial. Ihre Arbeit stellt eine direkte Verbindung zu ihrer unmittelbaren Umgebung her und überbrückt die Bereiche Forschung, objektive Realität und subjektive Wahrnehmung, wobei sie die Themen Migration und soziale Hierarchie miteinander verwebt. Mahshid Mahboubifar studiert derzeit Expanded Cinema an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Clemens von Wedemeyer und Mareike Bernien. Zuvor absolvierte sie einen Bachelor in Visueller Kommunikation in Teheran und ihren Master in Digitalen Medien an der Hochschule für Künste Bremen.
Pooya Sedighi Mournani wurde 1991 in Teheran geboren. Er schloss sein Bachelorstudium in Architektur und Städtebau an der Tehran University of Arts ab und studierte anschließend Kunstphilosophie, iranische und weltweite Kunstgeschichte an der Shamseh Alternative Art School und später in einem Masterstudium Fotografie an der Tehran University of Arts. Seit 2018 studiert Pooya Sedighi Mournani Bildende Kunst mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Dr. Ines Schaber und Prof. Tina Bara. Pooya Sedighi Mournanis Arbeit befasst sich mit Geschichte und Identität. In einer langjährigen Arbeit beschäftigt er sich mit seiner Mutter und mit der Erinnerung an sie durch die Bilder von ihr, die er in verschiedenen Arrangements und Installationen herstellt. In anderen Werkkomplexen widmet sich Sedighi Mournani öffentlichen und privaten Archiven, die er durch eigene Bildanordnungen untersucht und dadurch die Betrachter:innen herausfordert, etablierte Narrative zu hinterfragen.
Caroline Bergter