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Erste Periode (1543–1832)

Die Geschichte der Universitätsbibliothek Leipzig reicht bis ins 16. Jh. zurück, doch ist sie mit der Universität nicht gleich ursprünglich. Die Tatsache, dass das Gründungsjahr 1409 der Universität dem Gründungsjahr 1543 der Universitätsbibliothek etwa 270 Semester vorausliegt, bedeutet auch, dass anfangs die Universitätsbibliothek als solche kein entscheidendes Element von Lehre und Forschung war.

1544 wurde im Paulinum und damit in direkter Nachbarschaft zur Universitätsbibliothek – die Bibliothek der Artistenfakultät (später Philosophische Fakultät) aufgestellt. Bibliotheken der Fakultäten existierten seit der Universitätsgründung. Allerdings konnte die Universitätsbibliothek selbst erst später, und vollends ab dem 19. Jh., exklusiv zur Zentrale der Literaturversorgung werden.

Dass die Universitätsbibliothek in Leipzig zur Mitte des 16. Jh. gegründet wurde, hatte unmittelbar mit den im Zuge der Reformation stattgefundenen Klosterauflösungen zu tun. Die ausgewählten Buchbestände der Klöster im albertinischen Sachsen, für die der damalige Rektor Caspar Borner (1492–1547, Rektor 1539–1547) die Aufbewahrung in einer universitätseigenen Anstalt durchsetzte, bildeten den ersten Grundstock der Sammlung, die auch später immer wieder durch Übernahmen und Schenkungen bereichert wurde.

Büchersammler haben Jahrhunderte hindurch die Universitätsbibliothek Leipzig in ihren Beständen vermehrt. Das alles fing 1543 an, wobei das offizielle Gründungsjahr für die Universitätsbibliothek nicht nur ein Datum der Geschichte ist, sondern zugleich eine wesentliche Funktion jeder Universitätsbibliothek definiert, insofern diese die wissenschaftliche Arbeit der näheren und ferneren Vergangenheit dokumentiert. Wenn man berücksichtigt, dass unter den Klosterbeständen, die 1543 an die Universitätsbibliothek Leipzig kamen, auch viele Texte waren, mit denen Professoren arbeiteten bzw. die diese selbst verfasst hatten, dann kann man sagen, dass sie als Archiv der akademischen Arbeit begründet wurde.

Dieses Archiv wurde von Anfang an benutzt, wie bescheiden auch immer. Aus der "Bibliotheca Paulina" – die auch "Pauliner-Bibliothek" oder "Academische Bibliothek" genannt wurde – konnten interessierte Wissenschaftler Bücher entleihen. Im Hintergrund arbeiteten Bibliothekare, die immer wieder die Bände zur besseren Auffindung gesuchter Titel ordneten, ohne dass sich sagen ließe, die Effektivität der Nutzung oder die Rationalität der Erschließung seien für die erste Periode gültige Qualitätsmerkmale. Die Universitätsbibliothek war in der ersten Periode ihrer Existenz eine Sammlung.

Als Caspar Borner 1547 starb, hinterließ er seine eigene Bibliothek von etwa 260 Bänden der neuen Universitätsbibliothek. Diese Bücher ergänzten den Anfangsbestand, der aus dem Leipziger Dominikanerklosters stammte – des Paulinerklosters, das am 28. Juni 1543 von Herzog Moritz als ganzes der Universität geschenkt wurde – sowie aus dem Leipziger Thomasstift und dem Franziskanerkloster. Andere Klosterbibliotheken wurden ebenfalls nach Leipzig übergeführt, so die Bestände aus den Zisterzienserklöstern Altzelle (1543) und Buch (1547), von den Benediktinern aus Pegau (1543) und Chemnitz (1544), von den Augustinern vom Lauterberg bei Halle (1543), von den Franziskanern aus Langensalza (1544) und von den Dominikanern aus Pirna (1545). Sozusagen mit einem Schlag wurde die Universitätsbibliothek zur größten Bibliothek in Sachsen, die um 1550 etwa 6.000 Drucke und rund 750 Handschriftenbände (das entspricht etwa 1.500 Werken) zu ihrem Besitz zählte.

Erst im 17. Jh. kamen die restlichen in der Universität verbliebenen Sammlungen in die Universitätsbibliothek, d. h. die Bestände des Großen und des Kleinen Fürstenkollegs sowie die Bibliothek der Philosophischen Fakultät. Im 17. und 18. Jh. wuchs die Universitätsbibliothek allerdings nur sehr langsam; auch mit weiteren Zugängen vor allem zu Beginn des 19. Jh. kam sie 1831 auf nur ca. 50.000 Bände, was im Vergleich mit anderen Universitätsbibliotheken eher gering war – Breslau, erst 1811 gegründet, war bereits mit mehr als 120.000 Bänden ausgestattet. Die Zuwachsrate steigerte sich danach jedoch enorm, auch durch einen größeren und verstetigten Ankaufsetat, so dass im Jahr des Neubaus 1891 der Bestand bei 440.000 Bänden lag. Grob gerechnet, gab es also eine erste Verzehnfachung des Anfangsbestandes von 1543 bis 1832, eine weitere bis 1891 und dann noch eine bis um das Jahr 2000, als der Bestand fast 5 Millionen Bände zählte. Die Erwerbungen in der ersten Periode der Geschichte der Universitätsbibliothek Leipzig darf man sich nicht nach den Maßstäben des 19. oder des 20. Jh. denken. Sehr weniges ist über gezielte Erwerbung in die Paulina gelangt. Entsprechende Mittel waren – wenn überhaupt vorhanden – minimal und wurden im Einzelfall auch durch private Aufwendungen der Direktoren ergänzt. Geschenke waren ebenfalls selten, ganze Nachlässe noch seltener. Wenn heute in der Universitätsbibliothek die Produkte Leipziger Verleger aus früheren Jahrhunderten konsultiert werden können, dann im Regelfall nicht, weil sie zeitgenössisch erworben wurden oder gar als Pflichtexemplare in die Universität gelangten, vielmehr, weil sehr viel später aufgenommene Bibliotheken sie enthielten. Auch die Bestandszahl am Ende der ersten Periode ergibt sich im wesentlichen nicht aus Erwerbungen, sondern aus den durch eine Fülle von kleineren Schenkungen vermehrten Anfangsbeständen, unter denen als größere Sammlungen die des Hofrats Johann Gottlob Böhme (1780, 6.500 Bände), die juristische von Josias Ludwig Ernst Püttmann (1796, 2.100 Bände), die medizinische von Johann Carl Gehler (1813, 13.000 Bände), die philologische von Gottfried Heinrich Schäfer (1817, 6.700 Bände) und die juristische von Karl August Hennicke (1831, 4.000 Bände) herausragen.

Bibliothekare

Caspar Borner war Begründer der Universitätsbibliothek nicht nur in einem formalen Sinn. Dass es dem Mathematiker und Astronomen gelang, die Bestände aufgelöster oder aufzulösender Klöster in eine Bibliotheksneugründung einzubringen, ist mit Recht als besondere Leistung gewürdigt worden. Borner begann die einheitliche Bestandsaufstellung, unabhängig von der Herkunft der einzelnen Bände, und versah diese nicht nur mit neuen Signaturschildern, sondern fing zugleich die Katalogisierung an – allesamt Tätigkeiten, denen nachfolgende Bibliothekare mit ganz unterschiedlicher Sorgfalt ebenfalls nachgingen.
Nach Borners Tod 1547 wurde die Bibliothek mehreren Magistern anvertraut, die nur dem Rektor rechenschaftspflichtig waren. In den 52 Jahren bis 1599 waren es sechs an der Zahl (Johannes Menzel, Donatus Zöllner, Lorenz Rülich, Petrus Lossius, Wolfgang Trübenbach und Andreas Hommel), die eine anfänglich recht rege Benutzung bewältigen mussten und verschiedene Kataloge der nach Fakultäten aufgestellten Bücher vorantrieben.

Mit dem Rhetoriker Johann Friedrich (1563–1629) übernahm ab 1599 ein Professor der Universität das Amt des Bibliotheksleiters, was bis 1832 Praxis blieb, jedoch nirgends als Regel formuliert wurde. Eine Anordnung des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen forderte 1616 lediglich die permanente Besetzung des Postens. So wurde in Leipzig die Leitung der Universitätsbibliothek im Nebenamt ausgeübt, wobei nicht selten die anfallende Arbeit von Kustoden – häufig im Professorenrang – und anderen angestellten Gehilfen erledigt wurde.

Von Friedrich sind Katalogisierungsbemühungen bekannt, seine Nachfolger, der Logiker Heinrich Höpfner (1582–1642, Leiter ab 1630) und der Physiker Johann Ittig (1607–1676, Leiter ab 1642), dagegen haben keine bibliothekarischen Spuren hinterlassen, ebenso wenig wie Friedrich Rappolt (1615–1676) oder Christian Friedrich Franckenstein (1621–1679) als Vertreter des kranken Ittig ab 1670.

Der nach Borner zweite wichtige Professorenbibliothekar war der Poetikprofessor Joachim Feller (1628–1691), der von 1675 an die Universitätsbibliothek leitete und entscheidend umstrukturierte. Feller brachte die Bestände des Fürstenkollegs und der Philosophischen Fakultät in die Universitätsbibliothek ein, beseitigte die Pulte, an denen die Bücher mit Ketten befestigt waren, ließ die Ketten verkaufen, brachte die Bücher in verschließbaren Schränken unter und etablierte eine neue Aufstellung, in der die Handschriften erstmals von den Drucken getrennt wurden. Für die Handschriften schrieb und veröffentlichte Feller einen Katalog.
Auf Feller folgten 1691 der Mathematiker Christoph Pfautz (1645–1711), über den wenig bekannt ist, und dann ab 1711 der Theologe Christian Friedrich Börner (1683–1753), unter dem die Universitätsbibliothek wöchentlich zweimal zwei Stunden geöffnet wurde. Eine solche Öffnungszeit war nach 1543 bereits vorgesehen gewesen, wohl aber nicht aufrechterhalten worden; 1711 kam der erneute Impuls zur Öffnung von der konkurrierenden Leipziger Ratsbibliothek, die Benutzer zuzulassen begann.
Börner baute ins Innere der Paulina einen regelrechten Arbeitsraum mit Tischen und Stühlen an den Fenstern und rückte dafür die Bücher in die Mitte des Saals rund um die Säulen: So entstand ein "Lesezimmer" im Magazin, komplett mit erhöhtem Stuhl für die Aufsicht. Außerdem beschäftigte er Mitarbeiter, die vollständige Sachkataloge für alle vier Fakultäten verfassten und damit Arbeitsgrundlagen bis ins 19. Jh. schufen.

Auf Börner, der 1738 sein Amt wegen Überlastung niederlegte, folgte der Professor für Moral und Politik Georg Friedrich Richter (1691–1772) und ab 1742 der Historiker Christian Gottlieb Jöcher (1694–1758). Wie fast alle seine Vorgänger begann dieser mit einer Revision der Bestände und Rückforderung der ausgeliehenen Exemplare, um effektive Verluste – die es regelmäßig gab – zu protokollieren. Unter Jöcher wurde die Ordnung der Bücheraufstellung verbessert und die Katalogisierung mit einem alphabetischen Katalog der Druckschriften von nahezu 1.000 Seiten 1751 abgeschlossen.

Nachfolger von Jöcher war der Poetikprofessor Karl Andreas Bel (1717–1782), der sich als amtierender Rektor selbst für den Posten des Bibliotheksleiters vorschlug. Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung führten 1782 dazu, dass ihm der Bibliotheksschlüssel verweigert wurde. Unmittelbar darauf nahm sich Bel das Leben. Sein Nachfolger war der Philologe Friedrich Wilhelm Reiz (1733–1790), gefolgt 1790 vom Philologen Christian Daniel Beck (1757–1832).

Diese durch wissenschaftliche Arbeiten stark eingespannten Professorenbibliothekare überließen den laufenden Betrieb meist den Kustoden. In Leipzig half es auch nichts, dass man ab 1817 einen zusätzlichen Universitätsbibliothekar in der Person des Philosophen Gottfried Heinrich Schäfer (1764–1840) anstellte. Über Schäfer verlautbarte Kustode Wendt: "was er aber eigentlich auf der Bibliothek thut, [...] das weiß ich selbst noch nicht." Übrigens arbeitete unter Beck Friedrich Adolf Ebert, der später aufgrund seiner Veröffentlichungen und seiner Arbeit in Wolfenbüttel und Dresden als "bester Bibliothekar seiner Zeit" gerühmt wurde.

Für die erste Periode in Leipzig gilt, was mit Blick auf alle deutschen Universitätsbibliotheken festgestellt wurde: sie waren "weit davon entfernt, Spezialbibliotheken für Forschung und Unterricht der Professoren und Studenten zu sein". Auch die Leipziger Bibliothek war in der Krise, und mehrere Gutachten der Fakultäten forderten mehr Dienstleistungen ein: genauere Kataloge, aktuellere Bestände. Bibliothekar Beck verlangte seinerseits Mittel zur Durchführung einer Revision, während eine universitäre Kommission die Verwaltung ändern wollte und das "Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts" in Dresden Berichte einklagte.

Erreicht wurde, dass ab dem 1. April 1832 die Universitätsbibliothek viermal wöchentlich zu drei Stunden öffnete – ein guter Durchschnitt im 19. Jh. Im darauf folgenden Jahr wurde eine Bibliotheksordnung erlassen, welche die Universitätsbibliothek in ein enges und kontrolliertes Verhältnis zur Universität zwang und ihre Leitung zugleich professionell gestaltete: Der Professorenbibliothekar verschwand, und eine neue Periode begann.